Willst Du immer weiter schweifen?
Sieh das Gute liegt so nah.
Lerne nur das Glück ergreifen.
Denn das Glück ist immer da.
Johann Wolfgang Goethe
Eine Nachricht auf Facebook machte mich aufmerksam auf mein Poesiealbum.
Eine schöne aber manchmal auch anstrengende Erinnerung an meine Jugend. Das Poesiealbum – viereckig, fest eingebunden, abwaschbar, sodass es nicht so schnell verschmutzte – habe ich es als Geschenk von meinen Eltern bekommen. Wohlbehütet, damals wie heute, steht es in meinem Bücherschrank und hat mich die ganze Zeit, beim großen Umzug in die Niederlande und danach während anderer Umzüge begleitet.
Es war wichtig! Ich wollte doch jedem, den ich kannte, die Gelegenheit geben eine diese weißen Seiten mit Reimen und Versen zu beschriften und mit Zeichnungen, Ornamenten, Glanzbilder und Fotos zu dekorieren. Die eigene Familie, Onkel und Tanten, Nichten und Neffen, vor allen Dingen, die Großeltern – solange die noch lebten – Nachbarn und Freundinnen und natürlich auch die Lehrer der Grundschule und später des Gymnasiums.
Die Distanzen waren manchmal ganz schön groß.
Oiste/Verden zu den Großeltern und dann die Familie des Bruders meiner Mutter in Bremen. Die sahen wir zweimal im Jahr. Ich musste dran denken es mitzunehmen. Die Furcht, wann ich es wieder bekommen würde, hatte ich natürlich auch. Ich/man wollte allen, unbedingt, ‚in mein Poesiealbum‘ stehen haben.
Über die Reihenfolge hatte ich mir Gedanken gemacht. Meine Mutter hat mir geholfen.
Und in der Reihenfolge lag auch irgendwie Präferenzen. Erst meinen Vater, meine Mutter, meine kleine Schwester, dann erst mein Bruder, der aber älter war als meine Schwester. Wir hatten uns vielleicht auch schon mal wieder gestritten. Auch das gehört zum Leben…
Dann Oma und Opa mütterlicherseits, dann väterlicherseits, zu denen wir weniger Kontakt hatten und dann meine Uroma, Omi Detert. Die ist mir heute wichtiger als damals. Einsichten verändern sich im Laufe des Lebens. Leider hat sie kein Gedicht in mein Album schreiben können! Dann die Patenonkel und – tanten, andere Freunde meiner Eltern, einige leere Seiten und dann die Verwandtschaft aus Bremen, Grundschullehrerinnen, Freundinnen usw.
Wichtig war auch, einen guten, weisen Spruch, einen Rat für das Leben sozusagen zu schreiben, den man dem Andern mit auf dem Weg gab. Internet gab es noch nicht. Daher galt das Poesiealbum meiner Mutter oft als Quelle oder das von anderen Freundinnen. Oder halt eben Gedichte, die ich in irgendeinem Gedichtebündel fand. Und wie würde der Empfänger meinen Beitrag lesen? Auch das war wichtig.
Und dann die Glanzbilder, Glimmer und Flimmer, die man im Bogen in der Buchhandlung und beim Kiosk kaufte. Ganz schön teuer, wenn man es vom Ersparten Geld kaufen musste. Der Grund dafür, dass nicht jeder ein Glanzbild bekam und ich im Gegenzug neugierig war, wer mir ein Glanzbild schenkte. Da war man demjenigen doch wichtig.
So ist dieses Album ein Relikt des deutschen Teils meines Lebensweges. In den Niederlanden habe ich es nicht mehr weitergeführt. Schade. So könnte ich retrospektiv diejenigen aufführen, die ich in den Niederlanden kennengelernt habe und mir jetzt noch immer wichtig sind. Und mich abfinden mit den leeren Seiten, genauso wie ich mich mit den leeren Seiten meiner Mutter, meines Bruders, einiger Großeltern, usw. abfinden muss. Keine Lust, keine Zeit = leere Seite.
So ist mir der Spruch meines Vaters (1e Seite) heute wie damals sehr wichtig. Er rührt mich zu Tränen.
Stets den rechten Weg gegangen,
nicht den Schlechten angehangen,
Auch die Hohen niemals scheuen,
Mit den Frohen sich erfreuen,
Gern beim kranken Bruder weilen
Kindlich danken willig teilen!
Liebe Claudia,
diese Lebensregel des Űberruhrer Dichters und Bergman Ludwig Kessing möge Dich in späteren Jahren erinnern an Deine Heimat und Deinen Vater. 17.8.1969. (handgeschrieben!)
Lieber Vati, danke dir für diese Lebensweisheit. Und die Erinnerung an dich, deine Handschrift und Unterschrift und meine Heimat – das damals noch schmutzige und staubige Ruhrgebiet. Weit weg und doch so nahe.
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